Blitzporträt

 

Was hat Dich zum Schach gebracht?

Mein Papa! Das Schachbrett war seit meiner Geburt Teil der Wohnungseinrichtung. Zuerst steckte ich die Figuren angeblich in den Mund, dann warf ich sie durch die Wohnung, später verwendete ich sie ein wenig artgerechter, bevor ich mit 6 Jahren meine erste Turnierpartie spielte. Das war für Aljechin/Wieden in der 3. Klasse. Mein Gegner war ein Erwachsener - es war aber auch seine erste Turnierpartie. Wir waren beide sehr nervös und zitterten uns zum Remis.

Was begeistert Dich am Schach?

Dass es so enorm abwechslungsreich und facettenreich ist. So einfach - und doch so unglaublich kompliziert. Spiel, Spaß, sportlicher Wettkampf, Kunst, Wissenschaft - also alles, was ich schätze und was mich neugierig macht.

Wie bist Du zum 1. SK Ottakring gekommen?

Zunächst 1988 durch ein Ottakringer-Open. Der Verein spielte damals noch im Café Max. Gegen 1994 begann ich eine Wanderschaft durch verschiedene Vereine, aber Ottakring blieb immer der Verein meines Herzens. 2008 hörte ich zufällig, dass sich Ottakring auflösen sollte. Es gab damals in Wien nur zwei Vereine mit Jugendarbeit: Donaustadt und Ottakring. Meine besten Schachschüler schickte ich immer zu Ottakring und so schmerzte mich diese Nachricht natürlich sehr.

Ich traf mich also mit dem damaligen Obmann Fritz Weis. Er hatte über Jahrzehnte den Verein geführt und sich große Anerkennung verdient. Er beging aber zwei Kardinalfehler: er suchte keine (oder zu wenige) Mitarbeiter und baute keinen Nachfolger auf (daraus wollte ich lernen).

In einer Nacht- und Nebelaktion stellten wir (Hartmuth Beck und ich) einen neuen Vorstand auf und setzten uns Ziele. Zunächst wollten wir wieder in die Landesliga aufsteigen (Ottakring war nicht in der höchsten Wiener Liga vertreten - heute unvorstellbar). Außerdem wollten wir ein Vereinsleben organisieren und wieder Mitglieder gewinnen. Ottakring hatte damals knapp 40 Mitglieder - Tendenz fallend.

Den Aufstieg schafften wir problemlos und der Verein begann wieder zu wachsen.

Was macht für Dich das Besondere am 1. SK Ottakring aus?

Dass viele Leute mit anpacken, auch von den Spitzenspielern. Das hat eine große Vorbildwirkung. Wir haben viele Krisen überwunden und sind gemeinsam stark geworden. Viele unserer Spitzenspieler sind von Kindesbeinen an bei uns im Verein und halten diesem auch als Nationalspieler die Treue.

Die Zusammensetzung aus vielen österreichischen Spitzenspielern und Spitzenspielerinnen, die vielen Kinder, die relativ vielen Frauen, die kreativen Menschen… Diese wunderbare Mischung ist in Österreich einmalig. Und alles trifft sich bei unserem Schach- und Genussabend!

Was war Dein schönstes Erlebnis mit dem 1. SK Ottakring?

Der Gewinn der Cristallgala 2016. Ottakring wurde als „Sportverein des Jahres“ ausgezeichnet. Das muss man sich einmal vorstellen: vor allen anderen tollen Sportarten! Bei der Preisverleihung im Festsaal des Hauses der Lotterie war Prominenz aus Sport, Politik und Kultur anwesend. Adam, Niki und ich nahmen den Preis stellvertretend für den Verein entgegen. 2020 als erfolgreichster Sportverein Ottakrings ausgezeichnet zu werden war natürlich auch toll!

Gibt es einen Mannschaftswettkampf, der Dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

2011 der Landesligawettkampf gegen Aljechin/Wieden. Nachdem wir in der Vorsaison in die Landesliga aufgestiegen waren, wollten wir eigentlich nur den Klassenerhalt verteidigen. Dann lagen wir in der Weihnachtspause auf einmal auf Platz 1. Da packte uns der Ehrgeiz. Durchmarsch in die 2. Bundesliga stand nun auf der Agenda. Wir nützten die Weihnachtspause, um uns erheblich zu verstärken. Als Dr. Petrousek (Herz und Seele von Aljechin/Wieden) unsere Aufstellung sah, fiel er fast in Ohnmacht. Wir gewannen überzeugend mit 7,5 zu 2,5 (damals wurde noch auf 10 Brettern gespielt) und marschierten in die zweite Bundesliga durch. Der Grundstein zum Spitzenverein wurde damals gelegt.

Auf welche eigene Leistung bist Du besonders stolz und warum?

Nach 14 Jahren Unterricht im integrativen Volksschulbereich hab‘ ich vor 15 Jahren den Berufswechsel zum selbstständigen Schachtrainer gewagt. Das Risiko war kalkulierbar, aber dennoch war es eine große Entscheidung. Ich denke, dass ich seitdem im Österreichischen Schachsport einiges auf verschiedenen Ebenen mitbewegen und gestalten konnte. Im Bereich der Trainerausbildung und Trainerfortbildung, die ich seit 2010 leite, haben wir in der Bundessportorganisation einen guten Ruf. Wir gehen in die richtige Richtung, aber es liegt noch viel Arbeit vor uns.

An welche Partie erinnerst Du Dich am liebsten?

An die Partie gegen FM Degelmann am 1. April 2016. Ottakring war das erste Jahr in der Bundesliga. Es lief der letzte Wettkampf und Ottakring stand als beinahe sicherer Absteiger fest. Ich war in einer „Must-Win-Situation“. Nur wenn ich meinen kleinen Vorteil verwerten konnte, hatten wir noch geringe Hoffnungen auf den Klassenerhalt. Meine Mitspieler waren schon lange fertig und fieberten bei der Übertragungsleinwand mit. Nach 6 Stunden brach mein Gegner schließlich zusammen, aber ich wusste nicht, ob das zum Klassenerhalt reichen würde oder nicht. Was für eine Freude, als Valentin mir um den Hals fiel! Geschafft – und noch dazu an meinem Geburtstag! Das war dann eine beschwingte Heimfahrt von Jenbach.

Auf welches Turnier freust Du Dich am meisten?

Auf die 1. Bundesliga! Ich finde es unglaublich toll, mit meinen Freunden Seite an Seite auf höchstem Niveau spielen zu können, am Abend zu analysieren, gemeinsam essen zu gehen und vieles mehr.

Turniere führen Schachspieler*innen immer wieder auf Reisen. Welche Eindrücke sind Dir in besonderer Erinnerung geblieben?

Da gab es viele tolle Erlebnisse, vor allem mit dem Österreichischen Frauen-Nationalteam. Unglaublich war der erste Top-Ten-Platz in Island 2015. Kein Österreichisches Schachteam hatte das je zuvor geschafft. Ein wirkliches Island-Märchen, begleitet von grünen Nordlichtern am Nachthimmel.

Ein wunderschönes Turnier war auch der Mitropacup in Süditalien 2018. In der Schlussrunde spielten wir gegen den hohen Favoriten Deutschland um Platz 1! Schließlich wurde es Platz 2 - auch die beste Platzierung, die je ein Frauen-Team aus Österreich schaffte.

Geliebt hab‘ ich auch die Bundesländermannschaftsmeisterschaften mit meinem Wiener Jugendteam. Bewegend war der Gewinn 2016, als ich meinen Spielern und Spielerinnen sagte, dass ich die Arbeit für Wien beenden und den Frauen-Nationalkader übernehmen würde. Selten ist mir ein Abschied so schwer gefallen.

Hast Du ein besonderes Ritual vor einer Partie?

Ein ausgiebiger Spaziergang, um den Kopf frei zu bekommen, abklatschen mit den Teamkollegen, konzentriert ans Brett setzen, langsam das Formular ausfüllen, den Kopf frei machen, keine Gespräche mehr…und los geht’s!

Mit welchen Gefühlen gehst Du in eine Partie?

Ich versuche, mich auf die bevorstehende Aufgabe zu fokussieren und alles andere auszublenden; ein leichtes Gefühl der freudigen Nervosität zu bekommen - nur so wenig, dass es motiviert. Das gelingt meist gut. Völlig die Nerven weggeschmissen habe ich 2017, als ich um den Staatsmeistertitel spielte. Es wurde schließlich Platz 3, womit ich am Turnierbeginn mehr als zufrieden gewesen wäre. Aber wenn man so dicht dran ist, will man natürlich gewinnen. In letzter Zeit spiele ich sehr wenig, da ich meist als Trainer unterwegs bin. Die Praxis fehlt mir etwas und so unterlaufen mir früher nicht gekannte Flüchtigkeitsfehler. Die Partie gegen Großmeister Plachetka … nach 5 Zügen wollte ich mich unter dem Tisch verkriechen. Das muss ich wieder besser in den Griff bekommen. 

Mit welcher Persönlichkeit der Schachgeschichte würdest Du gerne auf einen Kaffee gehen?

Es wäre toll, wieder mit Judith Polgar einen Kaffee zu trinken. Als ich mit dem Bankhaus Schelhammer & Schattera ein zweitägiges Event mit ihr organisierte, tranken wir das eine oder andere Tässchen Kaffee zusammen. Ich denke, sie hat speziell für das Frauenschach, aber auch für das Schach ganz allgemein, mehr geleistet als die meisten Weltmeister. Was für eine faszinierende Kämpferin, was für eine tolle Frau und Gesprächspartnerin! 

Welche Bedeutung würdest Du der Förderung von Frauen zuschreiben? 

Als Trainer des Frauen-Nationalteams würd' ich mal - völlig uneigennützig natürlich - behaupten, dass es kaum eine wichtigere Aufgabe gibt. Wir vom ÖSB haben heuer eine Initiative mit mehreren Projekten gestartet: Mädchenschachkongress im September in Salzburg in Kooperation mit Deutschland und der Schweiz; Flashmob; Trainingsprojekte von Nationalspielerinnen für Nachwuchsspielerinnen, verstärkter Einsatz von Trainerinnen, verstärkte Berichterstattung über Mädchen- und Frauenschach etc.

Wieso spielen aus Deiner Sicht weniger Frauen Schach als Männer?

Mit der Frage werden wir uns intensiv beim Kongress in Salzburg beschäftigen. Im Zuge des Kongresses (11. - 13. September 2020) werden wir auch ein Buch mit allen Beiträgen herausbringen. Wer sich also für die Beantwortung dieser Frage interessiert: am Kongress teilnehmen und das Buch kaufen!

Was ist Dein (nächstes) großes Ziel?

Die Corona-Krise gemeinsam mit dem Frauen-Nationalteam, mit Ottakring und dem Österreichischen Schachbund gut zu meistern. Ich versuche, für die Nationalspielerinnen viele Trainings und Events online anzubieten und Trainerausbildungen zu organisieren. Und als Nächstes steht ein freundschaftlicher Länderkampf der Mädchen und Frauen gegen Deutschland auf meiner Organisationsliste.

Und zuletzt: Womit beschäftigst Du Dich, wenn Du gerade nicht Schach spielst/trainierst?

Ich liebe es, mit meiner Frau zu reisen, alleine oder mit Freunden zu wandern, Tennis zu spielen, mit Freunden gut zu essen und dazu tolle Weine zu trinken - und mich bei etwas einfacheren Spielen als Schach zu entspannen.

Auch meine Lieblingswochenzeitung „Die Zeit“ in Ruhe zu lesen, auf die Dachterrasse zu gehen und in der Sonne im Pool zu schwimmen oder im Schneetreiben in der Sauna zu schwitzen; oder mit einem guten Buch und meinen beiden Katzen am Bauch am Sofa zu liegen sind durchaus Dinge, die das Leben so richtig lebenswert machen.